Denken

Das Leiden ist immer und überall… – die destruktive 360-Grad-Perspektive der Depression

Was geschieht im Kopf eines Depressiven?

Zunächst die Sicht eines Betroffenen:

„In meinem Denken entsteht mit der Zeit sozusagen eine 360-Grad-Perspektive der negativer Sichtweisen: Ich sehe mich hier und heute. Ich sehe nach vorne, in die Zukunft. Ich sehe nach hinten, in meine Vergangenheit. Ich sehe nach außen, in die Welt. Ich sehe nach innen, in meine Innenwelt. Und überall ist Dunkelheit und Verzweiflung. Das Leiden ist überall.“

Aaron T. Beck, Begründer der kognitiven Therapie, nennt diese grausamen Muster, die den Patienten in der Depression veranlassen, sich selbst, seine Zukunft und seine Erfahrungen in unangemessen negativer Weise zu betrachten, kognitive Trias. Die Innenschau fördert ein negatives Selbstbild zu Tage. Wir beurteilen uns als fehlerhaft, unzulänglich, krank, benachteiligt. Uns fehlen unserer Meinung nach die Eigenschaften, die notwendig sind, Glück und Zufriedenheit zu erlangen. Die Rückschau  wirft ein negatives Bild auf die Vergangenheit. Wir neigen dazu, unsere Erfahrungen negativ zu interpretieren. Wir glauben, etwas Wesentliches falsch gemacht zu haben. Wir sehen unser vermeintliches Versagen als irgendwie ursächlich für unseren gegenwärtigen Zustand an. Der Blick nach vorne zeichnet ein hoffnungsloses Bild einer wenig lebenswerten Zukunft. Wir nehmen an, dass unsere derzeitigen Schwierigkeiten sich wiederholen und für ewig fortbestehen.  Die Vorstellung erinnert an das indische Bild vom Kreislauf des Daseins, in dem sich das Leid immer und immer wiederholt. In der Depression erwarten wir Mühsal, Frustration, Benachteiligung und Fehlschläge. Wir haben es also mit dem Drama eines negativen Selbstbilds bei gleichzeitig negativer Weltsicht und einer hoffnungslosen Zukunftsperspektive zu tun.

Doch damit nicht genug. Die Gedanken laufen weitgehend unwillkürlich und automatisch ab. Selbstsuggestionen wie „Das schaffe ich nie“, gefolgt von „Ich bin ein Versager“ bis hin zu „Ich bin wertlos“ und ähnliche Konstruktionen entstehen scheinbar aus dem Nichts und entwickeln eine zunehmend destruktive Eigendynamik. Das Denken ist offensichtlich einseitig und verzerrt. Die alles dominierende Negativität ist die Folge einer Verkettung unheilvoller mentaler Prozesse. Sinneseindrücke werden radikal gefiltert. Der geistige Scheinwerfer ist ausschließlich auf negative Details gerichtet. Aus der Überfülle möglicher Wahrnehmungen werden die dunklen ausgewählt, fokussiert und beschrieben. Negative Ereignisse und Erfahrungen werden verallgemeinert und zur Blaupause für jegliche Zukunftserwartung. Die Ausrichtung führt zur Blindheit für andere Eindrücke. Positives wird schlichtweg nicht erkannt, abgewehrt oder abgewertet, weil offensichtlich alle kognitiven Kapazitäten auf die dunkelsten Facetten des Wahrnehmungsfeldes ausgerichtet sind.

Es wimmelt von Über- und Untertreibungen und fragwürdigen Schlussfolgerungen und Beweisführungen. „Jetzt ist alles vorbei.“ „Wenn ich keine Leistung mehr bringe, bin ich wertlos.“ Die Welt ist in Schwarz oder Weiß getaucht, Graustufen kommen nicht vor.  Belanglose Dinge werden persönlich genommen.

„Ich bin schuld.“
„Ich bin wertlos.“
„Alles ist aus…“

Glücklicherweise muss dies nicht wirklich so sein. Es gibt vielfältige erfolgversprechende Wege aus dem tiefen Tal der Depression…

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